2 Bis zur Präsidentschaft
2.1 Familie
Vigdís Finnbogadóttir wurde am 15. April 1930 in Reykjavik geboren. Ihr Vater war Finnbogi Rútur Þorvaldsson (1891-1973), Hafeningenieur und später Professor der Ingenieurwissenschaften an der Universität Islands. Ihre Mutter war Sigríður Eiríksdóttir (1894-1986), sie war Krankenschwester und eine Vorkämpferin in sozialen Fragen, deren Engagement über die Grenzen Islands hinausging. Außerdem war sie 36 Jahre lang Vorsitzende des Berufsverbandes für Krankenpflege (1924-1960). Die Eltern von Vigdís Finnbogadóttir gehörten im Jahre 1949 zu den Gründern der Isländischen Krebsgesellschaft, deren Schirmherrschaft sie dann selbst im Jahre 1986 übernahm.
Weniger als zwei Jahre trennten Vigdís Finnbogadóttir und ihren jüngeren Bruder Þorvaldur, der im Sommer 1952 durch einen Unfall ums Leben kam. Zu diesem Zeitpunkt hatte er gerade sein Abitur bestanden und bereitete sich darauf vor, das Studium der Ingenieurwissenschaften aufzunehmen.
Vigdís Finnbogadóttir wuchs in Reykjavik auf, verbrachte jedoch als Kind den Sommer oft auf dem Hof Eystra-Geldingaholt, der zur Gemeinde Gnúpverjahreppur im süd-isländischen Landkreis Árnessýsla gehörte.
Im Dezember 1954 heiratete Vigdís Finnbogadóttir den späteren Arzt Ragnar Arinbjarnar. Die Ehe wurde nach sieben Jahren geschieden.
Vigdís Finnbogadóttir hat eine Tochter, die bildende Künstlerin und Kunstwissenschaftlerin Ástríður Magnúsdóttir, geboren im Jahre 1972 und verheiratet mit dem Bautechnikingenieur Eggert Elmar Þórarinsson, geboren im Jahre 1973. Das Paar hat vier gemeinsame Kinder: Aþena Vigdís (2000), Eva María (2004), Ásta Sigríður (2009) und Elmar Þór (2014).
2.2 Bildung
Vigdís Finnbogadóttir legte im Frühling 1949 am Gymnasium Menntaskólinn í Reykjavík ihr Abitur mit Schwerpunkt Sprachen ab. Im Anschluss daran führte ihr Weg sie nach Frankreich, wo sie an der Universität von Grenoble sowie an der Pariser Sorbonne Französisch und Französische Literatur mit Schwerpunkt Drama studierte. Zurück in Island widmete sie sich dem Studium der englischen und französischen Literatur an der Universität Islands, ebenfalls mit Schwerpunkt Drama. Dazu nahm sie auch das Lehramtsstudium auf. Später belegte sie noch Theatergeschichte an der Universität von Kopenhagen sowie Französisch an der Universität von Uppsala. Im Jahre 1970 ließ sie sich ein Jahr von ihren beruflichen Verpflichtungen freistellen und verbrachte diese Zeit in Frankreich, um die Verbindungen und kulturellen Kontakte zwischen Isländern und Franzosen im 19. Jahrhundert zu untersuchen, als französische Fischer in großer Zahl vor der Küste Islands ihre Netze auswarfen.
2.3 Berufliche Laufbahn
Als Vigdís Finnbogadóttir vom Studium nach Island zurückkehrte, nahm sie eine Stelle als Öffentlichkeitsbeauftrage am Nationaltheater Islands an (1954-1957 und 1961-1964) und war dort außerdem auch noch für die Redaktion der Theaterprogramme des Hauses zuständig.
2.3.1 Tourismus
Im Sommer war Vigdís Finnbogadóttir oft für das Staatliche Tourismusbüro tätig. Dabei bereitete sie den Weg für einen kulturell geprägten Tourismus in Island. So organisierte sie gemeinsam mit Magnús Magnússon (1929-2007), einem Schriftsteller isländischer Herkunft und einem der beliebtesten Fernsehmoderatoren des britischen Fernsehsenders BBC, Reisen zu historisch bedeutsamen Stätten sowie den Schauplätzen der isländischen Sagas. Außerdem engagierte sich sie sich stark dafür, die Bekanntheit des Landes allgemein zu steigern und betreute ausländische Schriftsteller, Journalisten und Filmemacher, die hier Material für Artikel, Bücher und Filme über Island suchten.
Auf ihre Initiative hin wurde schließlich im Jahre 1960 erstmals eine Ausbildung für Reiseleiter angeboten. Unter der Leitung von Þorleifur Þórðarson war zunächst das Staatliche Tourismusbüro für diese Ausbildung verantwortlich. Die Kurse wurden in der Universität Islands abgehalten, zu Beginn im Hauptgebäude und dann in Árnagarður, dem Sitz der Islandistik. Neben Vigdís Finnbogadóttir zählten u.a. der Kunstwissenschaftler Björn Th. Björnsson und der Historiker Björn Þorsteinsson zu den Referenten. Der isländische Fremdenführerverband ernannte Vigdís Finnbogadóttir später zum Ehrenmitglied und überreichte ihr die Mitgliedsbescheinigung mit der Nr. 1.
2.3.2 Französischunterricht
Am Gymnasium Menntaskólinn í Reykjavík unterrichtete Vigdís Finnbogadóttir in den Jahren 1962-1967 Französisch und an einem weiteren Gymnasium in der Stadt, Menntaskólinn við Hamrahlíð, in der Zeit zwischen 1967 und 1972. Außerdem lehrte sie französisches Drama an der Universität Islands. Unter ihrer Leitung entstand die bei der Alliance française in Reykjavik noch heute gepflegte Tradition von Veranstaltungen in der Bibliothek des Vereins. U.a. inszenierte sie dort mit Französischstudenten Szenen aus den Theaterstücken von Marivaux, Musset und Beaumarchais. Viele Isländer erinnern sich auch an den von ihr moderierten Französischunterricht im Fernsehen (1971-1972), als zum ersten Mal überhaupt im isländischen Fernsehen Fremdsprachenunterricht angeboten wurde. Später äußerte Vigdís Finnbogadóttir, dass der Französischunterricht im Fernsehen wohl neben ihrer Theaterarbeit am meisten dazu beigetrage habe, dass ihre Landsleute bereits mit ihrem Gesicht vertraut waren. Dieser Französischunterricht lehnte sich an pädagogische Sendungen mit Schauspielern der Comédie française an, unterstützt wurde die spätere Präsidentin bei diesen Sendungen durch Gérard Vautey.
Die französische Sprache und Kultur lagen Vigdís Finnbogadóttir immer ganz besonders am Herzen und sie hat sich stets für deren Förderung engagiert. Seit 1955 ist sie Mitglied in der Alliance française und von 1975 bis 1976 war sie deren isländische Präsidentin. Sie ist heute Ehrenmitglied der Alliance française in Reykjavik.
Im Jahre 2011 überreichte Jean-Claude Jacq, der Generalsekretär der Fondation Alliance française in Paris und oberster Vertreter der Alliance française weltweit, Vigdís Finnbogadóttir zum Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Alliance française deren Ehrenmedaille.
2.3.3 Im Dienste des Theaters
Doch Vigdís Finnbogadóttir war auch in einem anderen Programmbereich des isländischen Fernsehens aktiv: Zwei Jahre lang präsentierte sie in der Fernsehreihe Vaka aktuelle Theatervorstellungen.
Desweiteren zählte sie zu den Gründungsmitgliedern der Schauspieltruppe Gríma (dt. Maske), dem ersten Avantgardetheater Islands. Im Theater Tjarnarbíó führte die Truppe Stücke zeitgenössischer Autoren wie Sartre, Ionesco, Max Frisch und Jean Genet auf. Vigdís Finnbogadóttir übersetzte für diese Aufführungen u.a. Sartres Geschlossene Gesellschaft (Huis Clos) und Die Zofen von Jean Genet (Les Bonnes). Ein Jahrzehnt später wurde sie Theaterdirektorin bei der Theatergruppe von Reykjavik Leikfélag Reykjavíkur, die ihren Sitz im Theater Iðnó hatte. In dieser Zeit übersetzte sie u.a. die Komödie Floh im Ohr (La Puce à l’Oreille à l’Oreille) von Georges Feydeau, die ganze drei Jahre lang gezeigt wurde (1972-1975). Die Leitung des Theaters Iðnó hatte Vigdís Finnbogadóttir acht Jahre lang inne, bis zu ihrem Amtsantritt als Präsidentin.
In diesen Jahren durchschritt die Theaterszene in Island einen Prozess großer Veränderungen, vor allem legte man jetzt mehr Wert darauf, neue isländische Autoren bekannt zu machen und deren Stücke aufzuführen. Unter der Leitung von Vigdís Finnbogadóttir setzten sich die Mitglieder von Leikfélag Reykjavíkur mit großem Eifer dafür ein, ein neues Gebäude für die Aktivitäten der Truppe zu erhalten, was Vigdís Finnbogadóttir mit viel Engagement unterstützte. Die gemeinsamen Anstrengungen hatten am Ende Erfolg und es kam zum Bau des Stadttheaters.
Zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit im Jahre 1984 sagte Vigdís Finnbogadóttir, dass niemand wirklich erschöpfend definieren könne, worin das Amt des Präsidenten eigentlich besteht, und man die dafür erforderlichen Fähigkeiten nicht auf der Schulbank erlernen könne. Der Präsident müsse sein Amt in Harmonie mit dem Volk ausüben und dabei in der Lage sein, sich auch verändernden Strömungen anzupassen. In diesem Sinne sei die Theaterarbeit eine hervorragende Schule für das Präsidentenamt gewesen.
2.3.4 Engagement für die Nordischen Länder
Vigdís Finnbogadóttir hat stets eine enge Zusammenarbeit mit den Nordischen Ländern gepflegt und ist eine konsequente Fürsprecherin der Freundschaft zwischen diesen eng miteinander verwandten Nationen. Sie hat eine Vielzahl von Ämtern und Ehrenämtern auf nordischer Ebene innegehabt und die nordische Zusammenarbeit sowohl innerhalb als auch außerhalb der Region gefördert. Als Theaterdirektorin war sie Mitglied der Kommission für Kulturangelegenheiten, die dem Nordischen Ministerrat untersteht, und in den Jahren zwischen 1978 und 1980, also bis zu ihrem Amtsantritt als Präsidentin von Island, hatte sie den Vorsitz dieser Kommission inne.